Titel
Nach dem Kriege. Die Nachkriegszeit des Dreißigjährigen Krieges am Beispiel der kursächsischen Stadt Zwickau, 1645–1670


Autor(en)
Landrock, Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
375 S.
Preis
€ 55,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Mann, Institut für Asien- und Afrikawissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Mit einiger Verzögerung hat die Militärgeschichte seinerzeit in den 1990er-Jahren auf die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der 1970er- und 1980er-Jahre reagiert und dabei zumindest für das 18. Jahrhundert höchst erfreuliche Studien hervorgebracht. In ihnen werden erstmals Themen wie das Leben von Soldaten in Garnisonsstädten oder die Lebenswelten von Soldaten in Friedens- wie Kriegszeiten erkenntnisgewinnend untersucht.1 Damit war die Tür aufgestoßen zu einer Militärgeschichte jenseits einer reinen Kriegsgeschichte.

Ein gutes Stück weiter öffnet die Tür nun die Dissertation von Christian Landrock, der nicht die bloßen Kriegs- und Friedenszeiten untersucht, sondern explizit eine Nachkriegszeit, nämlich die des Dreißigjährigen Krieges. Es handelt sich folglich um eine fluide Übergangszeit zwischen Krieg und Frieden, in der versucht wird (und werden muss), die fatalen Konsequenzen des Krieges auf Gesellschaft und Wirtschaft zu überwinden. Gegenstand der Untersuchung ist die Stadt Zwickau im Kurfürstentum Sachsen nach dem Friedenschluss von Kötzschenbroda 1645, mit dem das Land aus dem militärischen Dauerkonflikt austrat, und der deutlich wahrnehmbaren Überwindung der Folgen des Krieges. Kennzeichen dieser Zeit waren zum einen der Abzug der bis 1650 verbliebenen 400 schwedischen Truppen in der Stadt und zum anderen die versuchte Restauration der Zeit vor dem Krieg sowie die mehr oder weniger abgeschlossene Integration von sich wieder oder neu niederlassenden Soldaten. Den Endpunkt markiert das Jahr 1670, ein Jahr, in dem laut Verfasser die unmittel- und mittelbaren Folgen des Krieges überwunden schienen. Mit dem so gesetzten zeitlichen Rahmen verweist Christian Landrock auf den Umstand, dass auf reine Kriegszeiten, quasi dichotomisch, nicht unmittelbare Friedenszeiten folgen, sondern die Auswirkungen der Kriegshandlungen noch über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte zu spüren und zu sehen sind und die Nachkriegszeit selbst ganz eigene Verhältnisse produziert.

Natürlich hat Christian Landrock den Begriff der Nachkriegszeit aus der jüngeren deutschen Geschichte entlehnt, mit der vor allem die Zeiten nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg bezeichnet werden. Landrock gelingt es mit seiner paradigmatischen Mikrostudie zur Stadt Zwickau nach dem Dreißigjährigen Krieg, den Begriff analog auch auf die Zeit nach einem anderen Kriegen zu übertragen und daraus epistemologischen Gewinn zu ziehen. Dazu nimmt er in seiner langen Einleitung, die freilich dem Thema der Dissertation gerecht wird, eine umfassende Begriffsbestimmung vor. Unter Nachkriegszeit versteht Landrock den Zeitraum, in dem Wiederaufbau, Flüchtlingsbewegungen, Restitution und Restauration sowie die Integration von Zuwanderern, allen voran Soldaten, sich in den Akten niederschlagen und damit offensichtlich die Bevölkerung nachhaltig in Anspruch nehmen. Warum die Besatzungszeit bis 1650 als „klassische Nachkriegszeit“ (S. 48) bezeichnet wird, weil hier nur die unmittelbare Folgen zu verzeichnen sind, die von der späteren Zeit zu unterscheiden sei, in der nur mittelbare Folgen zu erkennen seien, ist indes nicht nachvollziehbar.2

Die Studie ist in drei große Abschnitte unterteilt, nämlich dem „Katastrophenmanagement und dem Wiederaufbau durch Herrschaft und Untertanen“, der „Integration und Exklusion in der Nachkriegszeit“ sowie den geistigen Auseinandersetzungen mit dem vergangenen Krieg. Sie werden mithilfe von sechs Themenblöcken bearbeitet, erstens die Wahrnehmung des Transformationsprozesses vom Kriegs- zum Friedenszustand, zweitens das politische Handeln beim Wiederaufbau seitens Landesherrschaft, der lokalen Bevölkerung und den kommunalen wie korporativen Institutionen, drittens das Handeln der Zünfte und die Wahrung ihrer Interessen, viertens der Zuzug in die Stadt als Teil der Repeulisierung, fünftens die Integration von verschiedenen Gruppen von Einwanderern sowie sechstens die Verarbeitung des Krieges und die Auswirkungen auf die Lebenswelten. Der so gesetzte Untersuchungsrahmen wird der Dissertation wissenschaftlich höchst gerecht. Lege Artis wird die Analyse vorgenommen, wozu auch das überreiche Quellenmaterial beiträgt, das sich in verschiedenen sächsischen Archiven erhalten hat.

Die Nachkriegszeit der Vormoderne war geprägt von der Restauration der Vorkriegszustände, sei dies wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder sozialer Natur – im Unterschied zur modernen Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts, die eher an dem Neu- statt am Wiederaufbau ausgerichtet war, nachdem zuvor ein politisches System kollabiert war, meist das des Kriegsverlierers. Am Beispiel Zwickaus und seiner Biermeile kann Landrock aufzeigen, wie die Stadtoberen versuchten, ihr althergebrachtes Brau- und Vertriebsprivileg erneut durchzusetzen und dabei auch nicht vor sogenannten Ausfällen zurückschreckten, bei denen sie mit bis zu 70 Reitern in den umliegenden Dörfern Razzien veranstalteten, um dort illegal gebrautes oder vertriebenes Bier aufzustöbern. Es ist durchaus anzunehmen, dass die örtliche Bevölkerung dies als Fortsetzung des Krieges empfunden hat, denn marodierende Soldaten, die Bier konfiszierten, waren unter anderem ein Kennzeichen dessen. Allerdings musste auf Dauer der Rat der Stadt Zwickau Kosten und Nutzen solcher Aktionen abwägen, die schließlich Ende der 1670er-Jahre eingestellt wurden. Statt gewaltsamer Konfrontation wurde auf friedliche Vermittlung gesetzt.

Ein großes Problem stellte die Entvölkerung des Landes im Zuge des Krieges dar. Umso mehr mussten Städte, Kommunen und die Landesherrschaft darauf bedacht sein, den Zuzug von Migranten zu fördern. Als herausragende Beispiele werden in der Forschung stets die gezielt geförderte Ansiedlung von geflüchteten Hugenotten, anderen Protestanten des Reiches und niederländischen Siedlern, die allesamt mittels Privilegien wie beispielsweise einem Steuernachlass und Material zum Hausbau angeworben wurden, angeführt. Landrock kann jedoch zeigen, dass nicht überall im Reich in dieser Hinsicht zielstrebig agiert wurde, denn in Kursachsen bemühten sich zwar Herrscher und Kommunen gemeinsam um eine Ansiedlung von Gewerbetreibenden. Jedoch verhinderte fehlendes Kapital zur Rekultivierung innerstädtischer Brachen in Zwickau oft eine Ansiedlung, ebenso wie Furcht vor Erscheinen echter oder falscher Erben Investitionen hemmten, nachdem ein Resolutionsedikts aus dem Jahr 1659 ausstehende Steuern auf leestehende Grundstücke und Häuser erlassen hatte.

Hinzu kam noch die restriktive Steuerpolitik des Dresdner Hofes, der grundsätzlich nicht auf seine Einnahmen verzichten wollte. Überhaupt war es diese konservative Steuerpolitik, die einen Wiederaufbau des Landes lange Zeit verzögerte. Dies hing ganz wesentlich mit dem gesteigerten Repräsentationswillen der Kurfürsten zusammen, wie Landrock anhand der Kaiserwahl in Frankfurt 1658 aufzeigt, als die sächsischen Landstände bereit waren, Kurfürst Johann Georg II. die nötigen Gelder für die kostspielige Reise zu bewilligen. Zum einen wird deutlich, wie klamm der Kurfürst gewesen sein muss, zum anderen ergibt sich daraus, dass in der Nachkriegszeit kein Raum war für steuerpolitische Aufbauhilfe. Hier spielten auch die Landstände eine nicht zu unterschätzende Rolle, die, ganz restaurativ, auf die Wahrung ihrer angestammten Rechte bedacht waren. Versuche des Zwickauer Rates, bisweilen Steuererleichterungen zu gewähren, fruchteten ebenfalls nicht und konnten wegen der stets angespannten Finanzlage nicht aufrechterhalten werden.

Höchst aufschlussreich ist der Abschnitt zur Ansiedlung von fremden, ehemaligen Soldaten in der Stadt. Von den 76 erfassbaren Veteranen hat sich etwa ein Drittel in Zwickau niedergelassen, ein Drittel ist in ihre kursächsischen Heimatorte und ein Drittel in die angrenzenden mittel-deutschen Länder gegangen. Aus der Not der Nachkriegssituation heraus geboren, veranlasste 1651 Kurfürst Johann Georg I. per Dekret, ausgemusterten Soldaten den Zugang zu Zünften zu erleichtern, womit er massiv in ihre Privilegien eingriff – wie er es vorübergehend auch schon beim Bierprivileg getan hatte. Er reagierte damit auf Versuche der Zünfte, mittels bürokratischer Hürden die Aufnahme von fremden Gesellen und Meistern zu verhindern. Gute Chancen der Integration besaßen, je nach Stand und Ausbildung, ehemalige Offiziere, gelernte Kriegsheimkehrer, auswärtige Fachkräfte, Nachzügler, gering qualifizierte Veteranen und Durchzügler. Als Tagelöhner und Handlanger endeten viele, in ihren ehemaligen Berufen einige. Eine geglückte Integration von ehemaligen Soldaten in die Arbeitsmärkte der städtischen Gesellschaft lässt sich über geschlossene Ehen, dem im Taufregister verzeichneten Nachwuchs, den Erwerb des Bürgerrechts und den von Eigentum an Immobilien dokumentieren.

Mittels des umfangreichen Quellenmaterials entsteht durch Landrocks genaue Analyse ein urbaner Mikrokosmos, der die Nachkriegsjahre der Stadt Zwickau und ihrer Bevölkerung erfahrbar macht. Lebenswelten entstehen, die in dieser Form als ein Teil von Stadtgeschichtsschreibung, vor allem aber einer Militärhistoriographie, zuvor nicht denkbar waren. Natürlich ist eine Generalisierung der historischen Befunde nicht unmittelbar möglich, doch werden anhand der lebendigen Schilderungen die Möglichkeiten aufgezeigt, die sich mit einer Nachkriegsgeschichte ergeben. Dieses Potenzial, nämlich eine Nachkriegszeit in der Vormoderne zu lokalisieren, mehr noch, die These einer Nachkriegszeit generell zu formulieren und damit erkenntnistheoretisch für die Geschichtswissenschaften und vor allem für die Militärgeschichte operationalisierbar zu machen, hat Landrock nur im allerletzten Satz als „Paradigma der vormodernen Nachkriegsgeschichte“ formuliert (S. 350). Es hätte der Dissertation jedoch gutgetan, das explizit als These, die absolut neu und durchaus verteidigungswürdig ist, an den Anfang zu stellen. Zu wünschen ist, dass noch zahlreiche solcher Mikrostudien zu den Nachkriegszeiten des 17. und 18. Jahrhunderts verfasst werden – dazu angespornt hat Landrocks Studie jedenfalls.

Anmerkungen:
1 Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995, sowie Stefan Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728–1796, Paderborn 2006.
2 Aus meiner eigenen Familie weiß ich, dass für sie die Nachkriegszeit mit der Besatzung durch französische Soldaten begann und der damit einhergehenden Einquartierung von einer Offiziersfamilie in die Wohnung meiner Großeltern und deren beider Kinder, eines davon meine achtjährige Mutter. Meine Familie hatte für die Zeit bei Verwandten Unterschlupf in einem einzigen Zimmer zu suchen. Diese Nachkriegszeit endete mit dem Abzug der Franzosen nach Gründung der BRD und der DDR, die gemeinhin als Zäsur der Nachkriegszeit definiert wird. Wenn 1945–1949 als Kernphase bezeichnet werden würde, bis wann ginge dann die Nachkriegsphase mit den mittelbaren Auswirkungen? Wann folgen weitere Zäsuren? Insofern wäre zu prüfen gewesen, ob eine vollständige Übertragbarkeit der Terminologie und vor allem eine Unterscheidung zwischen einer Kernphase, die als klassisch bezeichnet wird, und einer allgemeinen Nachkriegszeit sinnvoll sind. Abgesehen davon mutet es seltsam an, wenn Umbruchjahre und Notzeiten mit dem Terminus „klassisch“ belegt werden.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension